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Sparkassen-Gespräch mit Sicherheitsexpertin und Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, Dr. Claudia Major, in Heinsberg.

Heinsberg

Als Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022 seine Regierungserklärung abgibt, die später unter dem Stichwort „Zeitenwende“ von vielen Medien aufgegriffen wird, sitzt Dr. Claudia Major vor ihrem Laptop und hört gespannt zu. „Für mich war das wie eine Revolution“, sagt die Sicherheitsexpertin, die unter anderem Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ist. Im Rahmen der Sparkassen-Gespräche war Dr. Claudia Major am 12. September 2022 Gast in der Kreissparkasse Heinsberg und hat mit ihrem Vortrag „Europas neue Sicherheitsordnung und die Verschiebung der Machtverhältnisse: Folgen für Europa und Deutschland“ einen Überblick über die aktuelle Situation gegeben. Thomas Giessing, Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Heins- berg, freute sich, dass so viele Gäste der Einladung nach Heinsberg gefolgt waren.

Die Revolution, von der Dr. Claudia Major spricht, betrifft Deutschland und seine Entscheidungen in der Sicherheits- und Außenpolitik. Innerhalb kürzester Zeit wird beschlossen, was zuvor jahrelang undenkbar war: 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr, Investition von mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung, Anschaffung der bewaffneten Heron-Drohne und des Kampfflugzeugs F-35.
Dem lange gewachsenen deutschen Selbstverständnis, mittels Annäherung und Diplomatie Konflikte zu lösen, hat Putin drei Tage zuvor mit dem Einmarsch in die Ukraine eine Absage erteilt. Gleichzeitig damit aber auch eine Reihe von Reaktionen und Entscheidungen ausgelöst, wozu neben den deutschen Beschlüssen ebenso zählt, dass Schweden und Finnland die NATO-Mitgliedschaft beantragt haben und der Uk- raine der Kandidatenstatus zum EU-Beitritt ausgesprochen wurde. „Wir verstehen Sicherheitspolitik nicht mehr als Solidarität, sondern weil wir uns selber angegriffen fühlen“, beschreibt Dr. Claudia Major die Lage. „Selbst, wenn wir selber den Krieg
ablehnen, müssen wir uns doch mit ihm auseinandersetzen, wenn der Nachbar ihn als Mittel zum Zweck sieht.“

Bleibt die Frage: Wie geht es weiter? Die sicherheitspolitischen Veränderungen mit alle ihren Auswirkungen kommen direkt bei uns an – sie geben uns aber auch die Chance, sie mitzugestalten. „Wenn Russland den Krieg verliert, gibt es Russland noch. Wenn die Ukraine den Krieg verliert, gibt es keine Ukraine mehr.“ Es sei auch uns zu verdanken, dass die Ukraine noch da ist. Aber: Nehmen wir unsere Werte so ernst, wie wir es gerne behaupten? Und setzen wir sie glaubhaft um, wenn es beispielsweise um die Rechtstaatlichkeit in Polen geht? Räumen wir Europäer der Sou- veränität eines Staates eine wirklich so hohe Bedeutung ein, dann könne nur die Ukraine selbst entscheiden, was es heißt, gewonnen zu haben. „Heißt gewinnen: Wiederherstellung des ukrainischen Territoriums wie vor dem 24. Februar? Oder mit der Krim, Luhansk und Donezk?“ Fragen, die nur die Ukraine als souveräner Staat beantworten könne.
Eine Waffenruhe könne zwar die militärischen Handlungen beenden, aber auf anderen Ebenen werde Putin den Krieg fortsetzen. Er werde versuchen, die westlichen Demokratien – zu denen Dr. Claudia Major auch Japan, die USA und Australien zählt – mit Cyberattacken, Angriffen auf die kritische Infrastruktur und Wahlmanipulation zu destabilisieren. China sei letztlich der Staat, der entscheiden könne, wie lange dieser Konflikt andauern wird. „Russland und China gehen nie gegeneinander, aber nicht immer miteinander vor“, sagt Dr. Claudia Major.
Nach dem Vortrag dankte Thomas Giessing Dr. Claudia Major für die interessanten Ausführungen und eröffnete die Fragerunde für das Publikum. Die Überlegung eines Gastes, ob ohne Putin ein politischer Wandel in Russland möglich sei, beantwortete Dr. Claudia Major mit Sorge: „Putin setzt auf das Überleben seines Systems. Die Gleichschaltung ist inzwischen in einem so hohen Maß vorangeschritten, dass es kaum noch eine Öffentlichkeit oder Institutionen gibt, die einen politischen Wandel mittragen könnten. Und das finde ich sehr beunruhigend.“

Zur Person: Dr. Claudia Major
Dr. Claudia Major ist Sicherheitsexpertin, Mitglied im „Beirat zivile Krisenprävention“ des Auswärtigen Amtes und Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Sie forscht, berät und publiziert zu Themen der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Deutschland, Europa und im transatlantischen Kontext. Dabei liegt ihre Expertise insbesondere im Be- reich der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und der Einordnung von politischen Geschehnissen rund um NATO und EU. Ihre Analysen werden sowohl von der Bundesregierung, im Bundestag, in den Medien als auch international (EU, NATO, europäische Staaten, USA) nachgefragt.

Quelle:
Kreissparkasse Heinsberg

By CUH