Heinsberg
11. Juni 2025
Die Hebebühne schwankt leicht im Wind. Neben mir steht der Künstler Andreas Valiotis,
konzentriert, mit einer Spraydose in der Hand. Unten, an der Kreuzung, rauscht der Verkehr.
Jemand hupt. Jemand winkt. Dann wieder ein Hupen – diesmal ungeduldig, weil vorne jemand das
Grünlicht verpasst hat. Der Grund: das Bild, das an der Giebelwand wächst.
Es zeigt einen jungen Mann in Schwarz-Weiß – feiner Schal, klassisches Profil, ernster Blick.
Darüber, in gelber Sprühschrift, steht eine Frage, die direkt ins Auge springt: „Lust auf Kunst?“
Wir stehen mitten in Heinsberg. Und der Mann auf der Wand ist Carl Joseph Begas, geboren 1794
in eben dieser Stadt. Ein Künstler, der später nach Berlin ging, bei Antoine Jean Gros in Paris lernte
– und nun, über 200 Jahre später, als überlebensgroßes Street-Art-Bild ins Stadtbild zurückkehrt.
Das Projekt stammt vom Begashaus, dem Museum, das dem Maler gewidmet ist. Umgesetzt wurde
es – wie schon mehrere Aktionen zuvor – vom Street-Art-Künstler Andreas Valiotis. Diesmal ist das
Bild besonders auffällig: direkt an einer belebten Kreuzung an der Kolpingstraße, kaum zu
übersehen.
„Die Leute hupen, winken, machen Fotos“, erzählt Valiotis. „Manche werden aber auch ungeduldig,
weil der Vordermann wieder nicht bei Grün losfährt – der hängt mit den Augen noch am Bild.“
Er lacht und setzt mit ruhiger Hand die nächste Linie. Trotz Wind, Verkehrslärm und wackeliger
Bühne wirkt jede Bewegung konzentriert und präzise.
Ich bin fast von Anfang an dabei. Stehe erst unten, dann immer wieder auf der Hebebühne – nah
dran. An die Höhe und das Wackeln kann ich mich nicht gewöhnen – Valiotis schon. Ich erinnere
mich, wie er über meine Nervosität schmunzelte: Höhenangst ist eben nicht gerade hilfreich in
zwölf Metern Höhe. Er grinste und sagte: „Ich halt dich schon fest.“ Und sprühte lächelnd weiter.
Auch Museumsleiterin Dr. Rita Müllejans-Dickmann lässt es sich nicht nehmen, ganz nach oben zu
fahren. Sie kennt das originale Selbstbildnis aus dem Jahre 1819, das hier mit der Spraydose
interpretiert wird. Und sie weiß, warum es genau hierher gehört. „Kunst soll nicht nur im Museum
hängen“, sagt sie. „Sie soll dahin, wo die Menschen sind – mitten in den Alltag, mitten in die
Stadt.“
Dass ein klassisches Werk so sichtbar wird, auf Augenhöhe mit Passanten und Verkehr, begeistert
sie. „So erreichen wir Menschen, die vielleicht nie ein Museum betreten würden – aber trotzdem
neugierig werden. Und vielleicht doch einen Schritt näher an die Kunst herankommen.“
In einer kurzen Pause erzählt mir Valiotis, wie jede neue Wand für ihn beginnt: mit Zweifeln.
„Ich habe immer noch großes Lampenfieber“, sagt er. „Selbst nach all den Jahren. Ich frage mich
immer wieder: Schaff ich das wirklich? Kommt das an?“ Am Anfang arbeitet er fast leise,
vorsichtig, schildert er mir. Erst später, wenn zwei Drittel des Bildes stehen, passiert etwas: „Dann
drehe ich die Musikbox lauter. Und dann bin ich drin. Dann fließt es.“
Diese Mischung aus Unsicherheit und Leidenschaft ist spürbar – im Gespräch, in seiner Haltung zur
Kunst.
Das Selbstbildnis des jungen Begas tritt somit aus der Vergangenheit in die Gegenwart – als
kraftvolles Wandbild, das mehr ist als bloße Wiedergabe. Hinter ihm eine französische Landschaft,
wie ein leiser Gruß aus seiner Zeit in Paris, eingeflochten ins Gesamtbild, kaum hörbar, aber
spürbar.
Ein QR-Code auf der Wand führt direkt zur Website des Begashauses. Vielleicht ist genau das die
Verbindung, die es braucht: ein klassisches Porträt, umgesetzt mit Spraydose, verbunden mit einem
digitalen Klick – und der Einladung, mehr zu erfahren.
Das Wandbild ist keine Kopie. Es ist kein Denkmal. Es ist ein Gespräch.
Als das Werk vollendet ist und wir wieder Boden unter den Füßen haben, gehe ich ein paar Schritte,
überquere die Straße, drehe mich um. Die Sonne bricht durch die Baumkronen, der Himmel zeigt
mir ein wunderschönes Lichtspiel. Begas blickt von oben aus der Wand – ruhig, ernst, ein wenig
herausfordernd.
„Lust auf Kunst?“ Ich nicke. Und lächle.
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Ermöglicht wurde das Bild durch die Unterstützung der Heinsberger Volksbank –
und durch eine Wand, die mehr sein durfte als Fassade: Der Gemeinnützige Bauverein Heinsberg
eG stellte die Fläche zur Verfügung.
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Informationen zum Begashaus
Das Begashaus in Heinsberg präsentiert Werke von Carl Joseph Begas sowie weitere Ausstellungen
zur regionalen Kunst- und Kulturgeschichte.
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Freitag: 10:00–13:00 Uhr und 14:00–17:00 Uhr
Sonntag: 11:00–18:00 Uhr
Montag und Samstag: geschlossen
Adresse:
Hochstraße 21, 52525 Heinsberg
Weitere Informationen:
Website: www.begashaus.de
Telefon: 02452 / 14 66 10
Fotos / Bericht
Ron Weimann