Was ist sie alles noch? Coach, Musikerin, Autorin, Hundefreundin, Familienmensch… Das alles und noch viel mehr, so könnte man singen, wenn sie dieses Handwerk nicht viel besser verstünde. Und so gab es dann einen äußerst kurzweiligen lyrisch-musikalischen Abend in der vollbesetzten Bürgerbibliothek am Roßtorplatz, der von Heiterkeit bis Nachdenklichkeit alles bot. Poesie sei, so die Autorin bei ihrer Einführung, wenn das Gefühl zum Gedanken werde und der Gedanke Worte finde. Und Worte fand Annegret Heesen zum Beispiel für das Gefühl, von einer Riesen-Dogge verfolgt zu werden, die sich ihr bei einer Fahrradtour an die Fersen heftete und sich gelangweilt abwendete, als sie sich endlich traute, auf die Bremse zu treten. Ein Kampf ums Leben – umsonst gekämpft. Doch halt! Nicht ganz umsonst, denn diese Erfahrung brachte sie dazu, einem solchen Tier selbst das Leben zu retten, als sie von seiner völligen Verwahrlosung erfuhr. Lucky Luke ist heute der „sanfte Riese“ an ihrer Seite, wenn sie durch die Wälder streift. Munter ging es weiter in der Tier- und Menschenwelt, mit kleinen Fischen und Haien, mit Dackeln und Boxern, mit Angestellten wie Herr Wichtig, Frau Selbstlos, Frau Richtig und Herr Jammerkloß oder mit gehobenen Reitern und ihrem bösen Spiel mit Anfängern.
Nicht nur Freude und Humor, auch ihren Beruf als Coach kann Heesen in ihren Texten nicht verbergen: „Keine Rose blüht wie eine andere, jede Rose blüht für sich allein. Schau auf dich, bleib bei dir“, so ihr musikalisches Rezept zum Glücklichsein. Wir sollten aufhören uns mit anderen zu vergleichen. Statt zu be-werten, sollten wir vermeintliches Fehlverhalten lieber aus-werten. Dabei ist Heesen alles andere, als eine harmoniesüchtige Person. Mit ihrer eigenen „Ungeduld“ ging sie ebenso ins Gericht wie mit der Familie als „geschlossene Gesellschaft“, wo Neid und Streit den Alltag bestimmen, noch über den Tod der Eltern hinaus. In ihren „Subjektiven Betrachtungen nach der Familiengründung“ stellte sie die Doppelbelastung als arbeitende Mutter in den Vordergrund, die kaum dass sie entbunden hat, sich telefonisch wieder als Mitarbeiterin der Firma meldet. Im Chanson „Das kleine Menschlein“ stellte sie für dessen Etappen von der Wiege bis zur Bahre klar: „Es wollen einen so viele andere belehren, doch alles Reden hilft nicht viel, weil der Mensch was Eigenes machen will“, was eine Zuhörerin an die Lyrikerin Mascha Kaléko erinnerte, deren meistgesprochenes Wort als Kind offenbar das Wort „Nein!“ war.
Nicht nur Heesens Gedichte gaben dem Abend eine besondere Note, denn sie hatte ja aufgefordert, eigene Lieblingsgedichte mitzubringen. Und das, was zwei der anwesenden Zuhörer mitbrachten, war beeindruckend. So trug jemand ein Weihnachtsgedicht von Robert Sontheimer vor, in dem in wechselnden Generationen ein Großvater seinem Enkel erzählt ,wie das früher war mit dem Weihnachtsbaum, der vom echten Baum mit echten Kerzen zum Baum mit Kunst-Kerzen mutiert, dann zum Plastik-Baum und zum Schluss gar nicht mehr existiert. Da fragt nämlich der Enkel erstaunt: „Was ist ein Baum?“. Eine Zuhörerin hatte kurze Gedichte der Kölner Lyrikerin Ursula Lüthe mitgebracht, wie „Im Labyrinth der Kindheit“, wo noch „in jedem Satz eine Frage“ wohnt. Im Gedicht „Wasserzeichen“ geht es um Worte wie Narben, die als Wasserzeichen unter der Alltagshaut existieren und nur gegen das Licht zu lesen sind.
Der Lyrikabend endete mit einem Weihnachts-Song zum Mitsingen, dem „Weihnachtswichtellied“, mit dem sich die Autorin, ähnlich wie seinerzeit August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1835 mit seinem Lied „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ ein wenig auch lustig machen will über das konsumierende Bürgertum. Da heißt es „Formvollendet steht der Baum“ und kurze Zeit später: „War da nicht eben noch Silberglanz auf grünen Zweigen?“. Aber da hat der Baum sein Leben schon wieder ausgehaucht…
Quelle:
Irmgard Stieding