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Interview:
Ron Weimann interviewt Christian Gruber in der Ukraine

Seit Kriegsbeginn wuchs die Hilfsbereitschaft für die Ukraine enorm. Viele Deutsche engagieren sich ehrenamtlich, arbeiten in Flüchtlingsunterkünften, organisieren Hilfstransporte, spenden Geld. Aber es gibt auch die Menschen, deren Einsatzorte tausende Kilometer weit weg von Zuhause sind. Christian Gruber ist einer von ihnen.
Der Nordhesse entschloss sich, wenige Tage nach Kriegsbeginn, in die Ukraine zu reisen um dort zu helfen. Seine Freunde in Deutschland, so berichtet er, waren nicht erfreut als er sie über seine Pläne informierte. Der 30-Jährige wollte nicht tatenlos zuschauen, er wollte helfen – vor Ort.
Ziel seiner Reise war Lwiw, eine Stadt im Westen der Ukraine. Die Metropole bietet seit dem russischen Einmarsch hunderttausenden Menschen Zuflucht. Bislang ist die Großstadt relativ glimpflich davongekommen, dennoch starben am 18. April 7 Menschen durch russische Angriffe. Christian Gruber entschloss sich zu bleiben.
Der junge Mann schloss sich der ukrainischen Hilfsorganisation Palianytsia an. Das Hilfswerk mit Sitz in Lwiw leistet humanitäre Hilfe durch die Versorgung mit Lebensmitteln, medizinischen Produkten, lebenswichtigen Gütern und liefert diese in alle Regionen der Ukraine.
Christian, Du hast Dich nach Ankunft in der Ukraine der Hilfsorganisation Palianytsia angeschlossen. Wie sieht Deine Arbeit konkret aus und welche Hilfsgüter werden derzeit am dringendsten benötigt?

„Also erst mal wusste ich ja nicht, dass ich bei der Hilfsorganisation Palianytsia landen werde. Das ist eigentlich aus einem Zufall heraus entstanden. Mein eigentlicher Plan war es, dass ich mich den internationalen Verteidigungskräften anschließe. Auf meinem Weg in die Ukraine habe ich dann eine Frau getroffen, die mir gesagt hat, dass sie jemanden kennt der Hilfe braucht. Und so bin ich bei Palianytsia gelandet.

Hier versuche ich mit hunderten anderer Freiwilligen gegen die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges vorzugehen. Wir senden zum Beispiel jeden Tag Tonnen von Lebensmitteln und hygienischen Produkten in die Krisengebiete der Ukraine. Wir nehmen Flüchtlinge auf und versorgen sie. Wir bieten ihnen psychosoziale Betreuung, wenn sie diese benötigen.
Gerade benötigen wir in erster Linie medizinische Güter und haltbare Lebensmittel. Viele Menschen harren über Tage in kalten Bunkern aus und werden krank. Es fehlt an der notwendigsten Versorgung. Gerade starten wir ein neues Projekt, mit dem wir die Dörfer mit grundlegenden medizinischen Material ausstatten wollen. Wir beschaffen die Medizin, packen die Kisten und liefern sie in die Dörfer. Dafür suchen wir gerade Unterstützer. Was wir aber nicht brauchen, das sind nicht abgesprochene Lieferungen.“
Die Sirenen heulen manchmal mehrmals täglich. In Lwiw scheinen die Menschen jedoch, trotz drohender Gefahr weiterer russischer Angriffe, relativ gelassen mit der Situation umzugehen. Ist das eine neue Normalität, an die sich die Ukrainer gewöhnt haben?
„Es ist so, dass die Menschen hier im Westen wirklich selten direkt in Kontakt mit diesem Krieg kommen. Deswegen sind manche Menschen schon sehr unvorsichtig. Das ändert sich aber meistens für eine Zeit, sobald es einen direkten Angriff auf die Stadt oder das Umland gab. Dann steigt die Bereitschaft die Luftschutzbunker aufzusuchen.
Also müsste ich der Aussage eigentlich widersprechen. Es ist nicht die neue Normalität in der Ukraine. Es ist die neue Realität im Westen der Ukraine, oder besser noch die der Westukrainer. Evakuierte Personen aus dem Osten oder Süden des Landes sind meist vorsichtiger und umsichtiger. Das liegt darin, dass sie den Krieg anders erlebt haben.“
Lwiw galt vielen Menschen als relativ sicherer Ort im Westteil des Landes, da die Stadt durch die Flüchtlingsbewegung auch ein Hotspot internationaler Hilfsorganisationen wurde. Wie ist Deine Einschätzung zu der aktuellen Sicherheitslage in der Stadt?
„Ich glaube nicht, dass es im Kriegsfall einen wirklich sicheren Ort oder eine Stadt gibt. Lwiw ist bis jetzt vor anhaltenden Angriffen verschont geblieben. Ich hoffe, dass das auch so bleibt, aber niemand kann eine Sicherheitsgarantie geben.
Gerade die hohe Dichte an nationalen und internationalen NGOs, die Waffenlieferungen und Besuche von internationalen Politikerinnen und Politikern sollten Grund genug sein, Lwiw als potentielles Angriffsziel einzuschätzen. Der russische Staat ist in seiner Angriffsführung durchaus interessiert daran, Terror zu verbreiten. Der Westen der Ukraine bietet sich auch für so etwas an.“

Überall sind in der Stadt ukrainische Flaggen zu sehen, die Menschen zeigen sich trotz der russischen Aggression optimistisch, stehen zusammen. Du bist mit vielen Menschen im Gespräch, woher nehmen die Ukrainer diese Zuversicht?
„Den Menschen hier bleibt nichts Anderes übrig. Für sie ist die Kapitulation vergleichbar mit dem Tod. Kapitulation bedeutet für sie Fremdherrschaft, Auslöschung der Kultur, Deportation, Folter und Mord. Umso absurder empfinde ich, und auch die Menschen hier, Initiativen wie den Brief deutscher Intellektueller, die eben dies fordern. Diese Intellektuellen fordern nichts anderes als die Beendigung der ukrainischen Kultur. Unvorstellbar, dass dies wirklich öffentlich gefordert wird.
Die Lieferung schwerer Waffensysteme, humanitäre Unterstützung und Solidaritätsbewegungen in der Welt geben den Menschen hier die Kraft, die Hoffnung nicht zu verlieren. Sie sehen die Zeichen, dass die ukrainische Bestrebung nach Demokratie und Freiheit von der Welt gehört werden. Aber natürlich stimmen auch die ukrainischen Siege an der Front hoffnungsvoll.“

Du hast vor 2 Monaten Deinen Lebensmittelpunkt in Deutschland aufgegeben um in der Ukraine, trotz drohender Gefahr, zu helfen. Wie sehen Deine Perspektiven für die Zukunft aus? Möchtest Du nach Kriegsende in der Ukraine bleiben?
„Für mich ist es gerade schwer, an die Zukunft zu denken. Niemand kann sagen wie lange der Krieg anhält. Am besten wäre es, wenn er morgen zu Ende wäre. Ich gehe aber eher davon aus, dass wir hier von mindestens einem Jahr sprechen werden.
Ich kann dabei nicht sagen, wie sich mein Aufenthalt hier entwickeln wird. Ob ich weiter bei Palianytsia bleiben werde, oder ob meine Unterstützung an anderer Stelle mehr gebraucht wird. Ob ich kämpfen werden muss und ob ich überlebe ist von zu vielen Faktoren abhängig, die ich momentan noch nicht erkennen kann.

Aber eine Entscheidung für die Zukunft habe ich getroffen. Für mich als Außenstehender in der Ukraine macht es den Eindruck, dass die deutsche Politik mehr auf eine Normalisierung der russisch-deutschen Beziehung nach dem Krieg hinarbeitet, als die Ukraine voll zu unterstützen. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland darf nicht normalisiert werden. Dafür sind zu viele Verbrechen begangen wurden. Russland muss, solange es nicht bereit ist für diese Verbrechen zu bezahlen und solange der russische Präsident an der Macht ist, isoliert werden.

Sollte sich mein Eindruck bestätigen habe ich deshalb beschlossen nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren.“

Ron Weimann, 13. Mai 2022
im Gespräch mit Christian Gruber

Palianytsia (https://palianytsia.com.ua/de) https://www.facebook.com/christiangruber01 )

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